Geht eine Dienstbarkeit zum Schutz der Aussicht der kommunalen Bau- und Zonenordnung vor?

Unsere Gemeinde hat letztes Jahr ihre Bau- und Zonenordnung angepasst und in einem am Hang liegenden Einfamilienhausquartier die Ausnützung erhöht. Eine Grundeigentümerin möchte nun von den neuen Nutzungsmöglichkeiten Gebrauch machen. Auf ihrem Grundstück besteht jedoch seit 1952 eine Dienstbarkeit zugunsten des höherliegenden Nachbargrundstücks, die besagt, dass auf dem Grundstück nur Bauten mit einem Unter- und einem Obergeschoss sowie Flachdächern erstellt werden dürfen. Geht diese Dienstbarkeit der kommunalen Bau- und Zonenordnung vor oder kann man sie ausser Kraft setzen?

In der Rubrik «Sie fragen – wir antworten» beantworten Juristinnen und Juristen von EspaceSuisse Fragen aus der Schweizer Rechtspraxis in der Raumplanung. Die Antwort auf obige Frage lautet:

Die privatrechtliche Dienstbarkeit wird durch die öffentlich-rechtliche Bau- und Zonenordnung nicht ausser Kraft gesetzt. Die Baubewilligung für die erhöhte Nutzung kann zwar, wenn das Vorhaben mit der Bau- und Zonenordnung übereinstimmt, erteilt werden. Der Eigentümer des Nachbargrundstücks, der von der «Aussichtsservitut» profitiert, kann jedoch auf zivilrechtlichem Weg gegen die neue Nutzung klagen.

Die bauwillige Grundeigentümerin muss daher versuchen, die Dienstbarkeit aufzulösen oder anzupassen (Art. 734 ff. ZGB). Dafür braucht es die Zustimmung des berechtigten Nachbars. Dieser dürfte für einen solchen Schritt kaum Hand bieten.

Rechtlich wäre es nicht ausgeschlossen, aufgrund eines überwiegenden öffentlichen Interesses und unter Beachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips eine solche Dienstbarkeit zu enteignen und damit ausser Kraft zu setzen. Hierfür bedarf es jedoch einer gesetzlichen Grundlage. Eine solche kennen nur wenige Kantone, und dies nur in besonderen Situationen, beispielsweise im Rahmen von Landumlegungen. Der Kanton Zürich kennt hierfür das Quartierplanverfahren (§ 123a PBG). Der Kanton Genf kennt seit längerem ein Enteignungsrecht in Entwicklungszonen für Industrie und Gewerbe (Art. 8 LZIAM) sowie zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus (Art. 2 LGL). Das neue Baugesetz des Kantons St. Gallen sieht die Möglichkeit von Schwerpunktzonen vor (Art. 19 PBG). Sie sollen die Umstrukturierung von Siedlungsgebieten ermöglichen und sehen als allerletzte Möglichkeit (ultima ratio) ein Enteignungsrecht vor (Art. 39 PBG). Etwas Ähnliches kennt der Kanton Wallis unter dem Titel «Entwicklungsperimeter» (Art. 12bis kRPG). In beiden Fällen geht es um die Enteignung ganzer Grundstücke. Wenn das Gesetz die Enteignung von ganzen Grundstücken vorsieht, dürfte jedoch auch die Enteignung einer Dienstbarkeit, die einen weniger weitgehenden Eingriff darstellt, zulässig sein.

Da es in Ihrem Fall keine rechtliche Grundlage für eine Enteignung gibt, kann – solange der Nachbar nicht bereit ist, die Dienstbarkeit anzupassen oder aufzuheben – das Grundstück nicht mit einer Mehrnutzung überbaut werden, auch wenn die neue Bau- und Zonenordnung diese Mehrnutzung erlauben würde.

Mehr zu diesem Thema findet sich im Raum & Umwelt 4/2016 von Meinrad Huser zum Thema «Baubeschränkungen und Verdichtung».

Quelle: Inforaum 4/2018

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