Die Raumplanung ist an allem Schuld …

Damian Jerjen, Ökonom und Raumplaner, Direktor EspaceSuisse
Mittwoch, 20.04.2022
In den letzten Monaten kam die Raumplanung immer wieder unter Beschuss. Sie sei verantwortlich für das knappe Bauland und verteuere dadurch das Wohnen. Zudem funktioniere Verdichtung nicht, weil Einsprachen für Verzögerungen sorgten. Vorwürfe, die EspaceSuisse als Schweizer Raumplanungsverband nicht so stehen lassen will.

Die Diskussionen in der medialen Öffentlichkeit fokussieren insbesondere auf die drei folgenden Punkte:

1. Die steigenden Bodenpreise vs. der Marktpreis greift zu kurz

Sprechen wir vom Boden und haben dabei einzig den Marktpreis im Fokus, entsteht der Eindruck, nur Bauland sei von hohem Wert beziehungsweise Boden sei nur wertvoll, wenn er bebaut werden kann. Was der Boden für unser Ökosystem leistet, spiegelt sich jedoch nicht oder nur ungenügend in den Bodenpreisen:. Denn Bodenschutz ist wichtig für den Wasserkreislauf und die Biodiversität und trägt massgeblich zum Klimaschutz bei. Diese Ökosystemleistungen werden mit Blick auf den Klimawandel immer wichtiger, auch wenn der Markt sie (noch) nicht berücksichtigt.

Die lukrativen Marktpreise für den Boden verführen – und sie führen dazu, immer mehr Land einzuzonen, den Boden zu bebauen und damit zu versiegeln. Tiefe Zinsen verlocken dazu, Kapital in Immobilien anzulegen. Mit den entsprechenden Folgen: Wertvolles Kulturland wird der Landwirtschaft entzogen. Zersiedlung führt zu hohen Kosten für die Gemeinden, beispielsweise durch zusätzliche Erschliessungen, und zu den erwähnten negativen Folgen für die Natur.

Das Schweizer Volk hat 2013 mit dem klaren Ja zur Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG 1) seinen Willen bestärkt, die Zersiedlung zu bremsen und die weitere Entwicklung nach innen, also in das schon bestehende Siedlungsgebiet, zu lenken. Die Politik und die Bevölkerung haben diesen Auftrag, haushälterischer mit dem knappen Gut Boden umzugehen, in den letzten Jahren immer wieder bestätigt, er ist also gegeben.

2. Zu wenig Bauland vs. genug Platz

Platz für Wohnraum gibt es in der Schweiz noch ausreichend. Immer noch sind zirka 15 Prozent der ausgeschiedenen Bauzonen unbebaut. Aber auch im bebauten Teil der Bauzonen besteht noch Potenzial für Nachverdichtungen.

Bisher wurden vor allem die leicht verfügbaren, meist unbebauten oder brachliegenden Flächen überbaut. Weitere Um- oder Aufzonungen – beispielsweise von Einfamilienhausquartieren – brauchen nun mal ihre Zeit. Seit 2014 werden in vielen Gemeinden die Innenentwicklungspotenziale identifiziert und mit entsprechenden raumplanerischen Instrumenten mobilisiert. Auch dies ist eine Anforderung des revidierten RPG. Die Kantone müssen in ihren Bau- und Planungsgesetzen Massnahmen zur «Baulandmobilisierung» vorsehen. Die Gemeinden können ihre kommunalen Bauvorschriften anpassen, damit die vorhandenen Potenziale auch tatsächlich genutzt werden (können).

Einzonungen für klassische Einfamilienhäuser mit Umschwung entsprechen nicht dem geforderten haushälterischen Umgang mit dem Boden. Aus Sicht einer nachhaltigen Raumentwicklung sind sie deshalb kein taugliches Zukunftsmodell. Dichter bauen heisst jedoch nicht, dass Wohn- oder Siedlungsqualität verloren gehen muss oder dass Wohneigentum nur noch für eine Minderheit realisierbar ist. Es braucht neue Formen, beispielsweise Wohnbaugenossenschaften und gemeinnützige Wohnformen, die bezahlbares Wohneigentum auch in städtischen Gebieten ermöglichen.

Wichtig ist, dass die Gemeinden aktiv werden und sich über die zukünftige Siedlungsentwicklung Gedanken machen – sei es mittels einer gemeinsam mit der Bevölkerung erarbeiteten räumlichen Strategie oder durch eine aktive Bodenpolitik. Auch bestehende Einfamilienhausquartiere können aufgewertet und besser ausgenutzt werden. Um diese Flächen zu mobilisieren, kann die Gemeinde Anreize setzen, beispielsweise indem zeitgemässe Alterswohnungen in den Orts- und Dorfkernen ermöglicht werden.

3. Verzögerte Innenentwicklung vs. Verdichtung ist kein Sonntagsspaziergang

Die Siedlungsfläche nimmt – zum ersten Mal seit Einführung der Arealstatistik in den 1980er-Jahren – weniger stark zu als die Bevölkerung. Das heisst, die Schweiz wird dichter. Gute Verdichtung funktioniert. Wie das geht, zeigen viele Beispiele (z. B. auf densipedia.ch). Klar ist: Je dichter gebaut wird, desto höher sind die Ansprüche an die Qualität. Denn ohne Qualität fehlt die Akzeptanz für eine Verdichtung. Mit Qualität fühlen sich die Menschen wohl.

Innenentwicklung und Verdichtung sind kein Sonntagsspaziergang. Zu unterschiedlich sind die Interessen und entsprechend zahlreich die Interessenskonflikte. Sind die Projekte jedoch von hoher Qualität und breit abgestützt, sinkt das Risiko von Einsprachen und der Lebensraum gewinnt an Qualität. Gute Innenentwicklung kann deshalb nur miteinander gelingen.

Das Resultat aus einer frühzeitigen Mitwirkung ist wertvoll, auch um Vertrauen zu schaffen, Verzögerungen zu vermeiden und den Behörden im weiteren Prozess den Rücken zu stärken. Geplante (Verdichtungs-)Projekte ohne frühzeitige Mitwirkung der verschiedenen Akteure weisen oft nicht die Qualitäten auf, die heute nötig sind, damit die bereits am Ort ansässige Bevölkerung diese Projekte akzeptiert. Zwar verlängern allfällige Einsprachen die Prozesse, doch führen sie oft auch zu besseren Resultaten – sowohl architektonisch als auch in Bezug auf die Qualität des Aussenraums.

Der Paradigmenwechsel von RPG 1 erfordert von allen die Bereitschaft zum Dialog. Und so ist die Raumplanung nicht das Problem, sondern der Schlüssel zu einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung.

Hier können Sie den ungekürzten Artikel aus dem Inforaum 1/2022 herunterladen.

Weiterführende Informationen

RPG 1:
espacesuisse.ch
are.admin.ch

Mögliche Massnahmen/Handlungsfelder der Innenentwicklung:
espacesuisse.ch

Statistiken:
Bauzonenstatistik Schweiz (2017)
Arealstatistik Schweiz (2021)
Statistische Auswertungen zur Bodennutzung (BfS)

Schweizer Plattform für Innenentwicklung und Verdichtung:
densipedia.ch: mit vielen Beispielen, Wissen und Werkzeugen

JERJEN DAMIAN/KISSLING SAMUEL, RPG 1 findet statt, in: EspaceSuisse, Inforaum 1/2021, S. 20ff.

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