Differenzbereinigung beim Mantelerlass

Damian Jerjen, Direktor EspaceSuisse
Mittwoch, 23.08.2023
Das eidgenössische Parlament beschäftigt sich intensiv mit erneuerbaren Energien und deren Förderung. Dabei werden auch Konflikte deutlich, insbesondere im Hinblick auf die Abwägung zwischen Energiegewinnung und Naturschutz. Wobei der Naturschutz in weiten Teilen geschwächt wird. Ein Überblick über den Stand der Debatten.
Saflischtal bei Grengiols (Foto: Damian Jerjen)
Blick auf das wilde und unberührte Saflischtal in der Gemeinde Grengiols VS.
Hier soll auf einer Fläche von 1 Quadratkilometern eine alpine Photovoltaik-Anlage entstehen, wenn es nach dem Willen des Parlaments geht. (Foto: Damian Jerjen)

Das eidgenössische Parlament hat in den vergangenen Monaten verschiedene Geschäfte beraten, um die Produktion von Energie aus erneuerbaren Quellen anzukurbeln und die Ziele der Energiestrategie zu erreichen. Die aus Sicht der Raumplanung herausragenden Geschäfte sind:

  • Bundesgesetz über dringliche Massnahmen zur kurzfristigen Bereitstellung einer sicheren Stromversorgung im Winter (Solarexpress)
  • Bundesgesetz über die Beschleunigung der Bewilligungsverfahren für Windenergieanlagen (Windexpress)
  • Bundesgesetz, Sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (Mantelerlass)

Im Zentrum der Debatten: der Zielkonflikt zwischen Produktion von Energie aus erneuerbaren Ressourcen und Schutz von Natur und Landschaften.

Der Mantelerlass sorgt für Differenzen

Während mit Solar- und Windexpress (siehe Kasten unten) die Produktionskapazität für einheimische erneuerbare Energiequellen kurzfristig erhöht werden soll, werden im Rahmen des Mantelerlass die gesetzlichen Grundlagen für die mittel- bis langfristige Erreichung der Ziele der Energiestrategie 2050 beraten.

Der Mantelerlass sieht insbesondere Änderungen im Energie- und im Stromversorgungsgesetz vor (siehe auch Im Fokus vom 23.3.2023). Aber auch das Raumplanungsgesetz (RPG) soll angepasst werden.

Die Vorlage befindet sich derzeit in der Differenzbereinigung. Ende Juni hat sich die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (UREK-N) mit den verbleibenden Differenzen befasst. Weiter geht’s dann in der Herbstsession. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

Solar- und Windexpress

Der sogenannte Solarexpress wurde in der Herbstsession 2022 in aller Eile vom Parlament beschlossen und beabsichtigte Massnahmen hinsichtlich einer drohenden Strommangellage im Winter. Hierfür sollen Photovoltaik-Grossanlagen, auch in unberührter Natur, als standortgebunden gelten. Die Planungspflicht wird obsolet. In der Zwischenzeit hat sich gezeigt, dass der Solarexpress eine überstürzte und nicht zu Ende gedachte Aktion war und zumindest das Ziel der kurzfristigen Bereitstellung einer sicheren Stromversorgung im Winter klar verfehlt hat. Fraglich ist auch die Realisierbarkeit der ursprünglich angepriesenen Grossprojekte bzw. ihr Anschluss ans Stromnetz.

Knapp neun Monate nach dem Solarexpress hat das Parlament den Windexpress beschlossen. Dieser sieht vor, dass künftig bei Windenergieprojekten, die über einen rechtskräftigen von der Gemeinde beschlossenen Nutzungsplan verfügen, die kantonalen Behörden die Baubewilligungen erteilen, anstatt wie bisher die Gemeinden. Zudem soll es nur noch eine Beschwerdeinstanz beim obersten kantonalen Gericht geben. Diese Beschleunigungen gelten für Anlagen von nationalem Interesse, die eine Jahresproduktion von 20 GWh oder mehr aufweisen und nur so lange, bis schweizweit eine zusätzliche Leistung von 600 MW Windenergie installiert ist. Ob gegen diese Vorlage ein Referendum ergriffen wird, zeigt sich bis zum 5. Oktober.

Weitere Infos auf im Fokus vom 1.6.2022.

Keine Energieproduktion in Biotopen

Nationalrat als auch Ständerat haben entschieden, dass Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien in Biotopen von nationaler Bedeutung sowie in Wasser- und Zugvogelreservaten auch weiterhin ausgeschlossen sind. Eine Ausnahme bilden hier die neu entstehenden Gletschervorfelder und alpinen Schwemmebenen, die grundsätzlich für die Produktion erneuerbarer Energien genutzt werden dürfen.

Wasserkraft hat oberste Priorität

Der wichtigste Pfeiler der Energieproduktion ist gemäss Energiestrategie der Ausbau der Wasserkraft. Die 15 grossen Wasserkraftprojekte, die vom Runden Tisch priorisiert wurden, sollen so schnell wie möglich realisiert werden. Die UREK-N hat mit dem Wasserkraftprojekt «Chlus» ein weiteres Vorhaben aufgenommen. Um diese grossen Wasserkraftprojekte zu fördern, werden im Stromversorgungsgesetz die Verfahren beschleunigt und festgelegt, dass das Interesse an der Realisierung dieser Projekte anderen Interessen von nationaler Bedeutung grundsätzlich vorgeht. Zudem unterliegen nur Vorhaben an einem neuen Standort einer «Planungspflicht». Diese beschränkt sich gemäss Ständerat auf die Durchführung eines Richtplanverfahrens. Ob eine grundeigentümerverbindliche Nutzungsplanung damit obsolet wird, lässt sich aus dem Gesetzesentwurf nicht herauslesen.

Während der Nationalrat bei Neukonzessionierungen von Wasserkraftwerken die Bestimmungen zu den Restwassermengen gemäss Gewässerschutzgesetz noch sistieren wollte, bis die Ausbauziele für die Wasserkraft gemäss Energiestrategie erreicht sind, hat der Ständerat dies bereits in der Sommersession teilweise korrigiert. Die UREK-N beantragt nun, dass eine Lockerung der Restwasservorschriften für bestehende Wasserkraftwerke nur bei einer drohenden Mangellage möglich sein soll und übernimmt so, was der Bundesrat im vergangenen Jahr bereits auf dem Verordnungsweg beschlossen hat.

Eignungsgebiete für Solar- und Windenergie im kantonalen Richtplan

Geht es nach dem Nationalrat, solle im Mantelerlass präzisiert werden, dass Solar- und Windenergieanlagen im nationalen Interesse – im Gegensatz zur Grosswasserkraft – in Zukunft nicht a priori standortgebunden sind und das Interesse an deren Erstellung als gleichwertig und nicht überwiegend zu anderen nationalen Interessen behandelt werden. Hier besteht eine Differenz zum Ständerat, welcher diesen Anlagen die Standortgebundenheit und ein grundsätzlich überwiegendes Interesse zusprechen will. Ein entsprechendes nationales Interesse erlangen die Vorhaben, indem sie in den im kantonalen Richtplan festzulegenden Vorranggebieten für Wind- und Sonnenenergie geplant werden. Dies geschieht auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Die UREK-N unterstützt hier den Ständerat.

Solarpflicht auf Neubauten und Parkplätzen

Die UREK-N hält erfreulicherweise am Beschluss des Nationalrates zu einer Solarpflicht fest, die für alle Neubauten sowie für erhebliche Umbauten und Erneuerungen gelten soll. Weiter will die UREK-N eine Solarpflicht für Parkplätze ab einer bestimmten Grösse. Der Ständerat wollte die Solarpflicht auf Neubauten mit einer Gebäudefläche von mehr als 300 Quadratmeter beschränken. Bleibt zu hoffen, dass er auf den Vorschlag der UREK-N einschwenkt.

Eine Einschätzung aus Sicht der Raumplanung

Angesichts der klimapolitischen Ziele sind die Anpassungen im Sinne einer Beschleunigung zwar teilweise nachvollziehbar, trotzdem werden die Umweltschutzinteressen weiter geschwächt. Das ist unnötig und gefährlich. Umso wichtiger ist es, dass die Raumplanung – insbesondere auf der kantonalen Ebene – ihre Rolle bei der vorausschauenden Planung wieder stärker einfordert, proaktiv geeignete Standorte für die Energieproduktion festlegt und für eine umfassende Interessenabwägung sorgt. Denn auf der einen Seite steht der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen, dem eine herausragende Bedeutung zukommt. Auf der anderen Seite jedoch das Interesse am Schutz der Landschaft und der Biodiversität: Dieses ist ebenfalls erheblich, sind die biologische Vielfalt und die Leistungen von Ökosystemen wie Nahrung, sauberes Wasser und Medizin gemäss Bundesgericht für das Überleben der Menschheit ebenso essenziell wie die akute und potenziell irreversible Bedrohung durch den Klimawandel. 

Die aktuellen Publikationen sind erschienen:

Inforaum 3/2023 und Raum & Umwelt 2/2023