Rückzonungen – ja, aber nicht so

Alain Griffel, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Zürich
Montag, 19.04.2021
Seit 2014 sind die Kantone gesetzlich verpflichtet, überdimensionierte Bauzonen zu verkleinern. Dazu wird es wohl nur in untergeordnetem Umfang kommen. Denn der Gesetzgeber hat zwar A, nicht aber B gesagt.
Amden (B. Jud)
Die Gemeinde Amden SG zonte 2009 ein Teil dieses Grundstücks zurück. (Foto: B. Jud, EspaceSuisse)

Die in der Volksabstimmung deutlich angenommene und 2014 in Kraft getretene Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG) verlangt ausdrücklich, dass überdimensionierte Bauzonen reduziert werden. Denn Bauzonen, die mehr als den Bedarf der nächsten15 Jahre abdecken und damit grösser sind, als das RPG es erlaubt, sind ein Treiber der Zersiedelung. Um dieser Einhalt zu gebieten, sind Rückzonungen unumgänglich. Der Gesetzgeber ist jedoch auf halbem Weg stehengeblieben. Er hat es bis heute versäumt, eine taugliche Problemlösungsstrategie zu entwickeln. Deshalb erstaunt es nicht, dass in den letzten sechs Jahren wenig geschehen ist, zumindest in der Deutschschweiz. Immerhin hat der Kanton Luzern Anfang Jahr eine Rückzonungsstrategie beschlossen.

Bis zum Ziel dürfte der Weg jedoch noch lang und steinig sein. Denn mangels anderer Lösung müssen die Rückzonungen über das Konstrukt der materiellen Enteignung abgewickelt werden. Das ist in zweifacher Hinsicht unbefriedigend: Zum einen erlaubt es lediglich Alles-oder-nichts-Lösungen, das heisst eine volle oder gar keine Entschädigung, wobei die Hürden für eine Entschädigung nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung hoch sind. Zum andern ist, von klaren Fällen abgesehen, sowohl für die Grundeigentümer wie auch für die Gemeinden unklar, was bei einer Auszonung punkto Entschädigung bzw. finanzieller Belastung auf sie zukommt. Dies steht erst nach durchgeführtem Rechtsstreit fest, zu dem man also in vielen Fällen gezwungen wird. Vor allem dies dürfte die Kantone und Gemeinden überwiegend davon abhalten, Rückzonungen an die Hand zu nehmen.

Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte zeigt, dass diese rechtliche Konstruktion hier nicht passt. Das Rechtsinstitut der Enteignung wurde im 19. Jahrhundert geformt, und zwar im Zusammenhang mit dem Bau des Eisenbahnnetzes und von Strassen. Wer dafür Land abtreten musste, wurde voll entschädigt. Erst wesentlich später erkannte das Bundesgericht, dass es auch Fälle gibt, die zwar nicht zum Entzug des Eigentums führen, sich für die Betroffenen aber ähnlich einschneidend auswirken. Damit war, sozusagen in der Verlängerung der Enteignung, die Figur der materiellen Enteignung geboren; die eigentliche Enteignung bezeichnete man fortan als formelle Enteignung. Aus der Entstehungsgeschichte wird auch klar, weshalb hier das Alles-oder-nichts-Prinzip gilt: Man wollte nicht nur Enteignete entschädigen, sondern auch gewisse Weitere, die ähnlich stark betroffen sind. An eine umfassende Entschädigungsordnung dachte man dabei nicht.

Das Konstrukt der materiellen Enteignung wurde also mit Blick auf Einzelfälle entwickelt, um das Enteignungsrecht abzurunden. Hier aber geht es um etwas ganz anderes: Eine grosse Anzahl von Grundstücken soll ausgezont werden, um frühere Fehlentscheide zu korrigieren und Fehlentwicklungen in der Raumplanung zu bremsen. Dass dies überwiegend entschädigungslos erfolgen soll, hindert nicht nur die Umsetzung, sondern ist in vielen Fällen stossend; mehr noch: Es ist rechtswidrig, weil es gegen das fundamentale Prinzip des Vertrauensschutzes verstösst. Dieser rechtliche Aspekt ist bisher gänzlich unbeachtet geblieben. Denn es waren staatliche Behörden bzw. Organe, welche die – wenn auch zum Teil rechtswidrigen – Einzonungen vorgenommen und genehmigt haben. Damit haben sie schutzwürdiges Vertrauen in deren Beständigkeit geschaffen. Das hindert den Staat zwar nicht daran, diese Beschlüsse bei Vorliegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses – hieran der Eindämmung der weiteren Zersiedelung – wieder zu korrigieren, aber nur gegen eine Entschädigung. Eine solche zu regeln, ist Sache des Gesetzgebers. Das hat er bis heute nicht getan. Der Bundesgesetzgeber wäre somit aufgerufen, einen fairen Entschädigungsmechanismus zu definieren. Dieser sollte einerseits abgestuft sein – also nicht nur Schwarz und Weiss, sondern auch Grautöne kennen – und andererseits Rechtssicherheit schaffen, indem die Entschädigungspflicht und die Höhe der Entschädigung im Voraus berechenbar oder zumindest abschätzbar werden. In einem ersten Schritt müsste der Gesetzgeber die Kriterien festlegen, die für die Entschädigung relevant sind (Nähe des Grundstücks zum überbauten Gebiet, Grad der Erschliessung, Eignung zur Überbauung, Lärmbelastung usw.). In einem zweiten Schritt müssten die Gemeinden die bundesrechtlichen Vorgaben in ihren Nutzungsplänen umsetzen und die auszuzonenden Grundstücke sowie die Höhe der jeweiligen Entschädigung in Prozenten des Verkehrswerts bezeichnen.

Die Aufblähung der Bauzonen war letztlich ein kollektives Versagen. Wer glaubt, das dadurch geschaffene Problem nun wieder beseitigen zu können, ohne Geld in die Hand zu nehmen, täuscht sich. Dass dieses Geld nicht vorhanden ist, weil es die Kantone in den letzten 40 Jahren in ebenfalls rechtswidriger Weise unterlassen haben, die durch Einzonungen generierten Mehrwerte abzuschöpfen, macht die Sache nicht besser. Die Zeche müsste heute deshalb die Allgemeinheit bezahlen.

Gastkommentar in der Neuen Zürcher Zeitung NZZ, 23.11.2020

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