Aus der Frühlingssession 2023

Donnerstag, 23.03.2023
Eine Marathondebatte zum Ausbau der erneuerbaren Energiequellen, Sach- und Richtplan, Wohnungsmangel, Verkehr – diese und weitere raumrelevante Themen haben das eidgenössische Parlament beschäftigt.
Foto: Parlamentsdienste 3003 Bern

Nicht weniger als zehn Stunden debattierte der Nationalrat über den sogenannten Mantelerlass. Am dritten Tag nahm die grosse Kammer das umstrittene Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (21.047) mit 104 zu 54 Stimmen bei 33 Enthaltungen an. Wie schon der Ständerat setzt auch der Nationalrat die 15 vom Runden Tisch priorisierten Wasserkraftwerke ins Zentrum. Für eine schnelle Umsetzung sollen die Verfahren beschleunigt werden. So gilt die Planungspflicht nur für Vorhaben an einem neuen Standort und beschränkt sich auf den Richtplan. Eine Interessenabwägung bleibt zwar möglich, aber die Realisierung dieser Projekte geht anderen Interessen von nationaler Bedeutung grundsätzlich vor.

Der Rat rang um Kompromisse zwischen wirtschaftlichen Interessen und Umweltschutz. Die wichtigsten Entscheide:

  • Beschleunigung der Bewilligungsverfahren für Windparks (diese sollen jedoch – wie auch die Solaranlagen – anderen Interessen nicht grundsätzlich vorgehen; Differenz zum Ständerat)
  • keine Produktionsanlagen für erneuerbare Energien in Biotopen von nationaler Bedeutung sowie in Vogelreservaten ab (Differenz zu Ständerat)
  • Sistierung der Restwasservorschriften bei Neukonzessionierung von Wasserkraftwerken, bis die Ausbauziele erreicht sind
  • Ablehnung verschiedener Effizienzmassnahmen im Gebäudebereich
  • keine Solarpanelpflicht bei grösseren bestehenden Bauten, aber bei Neubauten, erheblichen Um- und Erneuerungsbauten wie der Sanierung eines Hausdachs

Die Vorlage geht nun zurück in den Ständerat. Lesen Sie mehr dazu im «Im Fokus»-Artikel vom 23.3.2023.

Zu den weiteren Geschäften:
Das Parlament hat vorsorglich eine Nein-Empfehlung zur bedingt zurückgezogenen Gletscher-Initiative (21.055) beschlossen. Den direkten Gegenvorschlag des Bundesrats zur Initiative haben die Räte beerdigt, da sie der Initiative einen indirekten Gegenvorschlag entgegenstellen: Das Gesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit (KIG; 21.501) kommt am kommenden 18. Juni an die Urne, da die SVP das Referendum ergriffen hat. Scheitert das Gesetz, gelangt die Gletscher-Initiative doch noch zur Abstimmung.

Geht es nach dem Nationalrat, sollen Sachpläne künftig dem Parlament verbindlich vorgelegt werden. Die grosse Kammer hat einer parlamentarischen Initiative (20.492) von Philipp Matthias Bregy (Die Mitte/VS) Folge gegeben. Die behördenverbindlichen Vorgaben für die Raum- und Infrastrukturentwicklung seien oft einschneidend, durchliefen aber keine parlamentarische Debatte, so die Befürworter. Die Gegner argumentierten vergebens mit dem heutigen breiten Vernehmlassungsverfahren. Das Geschäft geht in den Ständerat.

Im Zusammenhang mit dem Tessiner Richtplan konnten gleich zwei Interpellationen erledigt werden. Dabei ging es vor allem um das massgebende Bevölkerungsszenario, das Basis für allfällige Rückzonungen von überdimensionierten Bauzonen ist. Sowohl Fabio Regazzi (22.4415; Die Mitte/TI) wie auch Piero Marchesi (22.4376; SVP/TI) sind der Meinung, dass der Kanton Tessin benachteiligt werde. Der Bundesrat verneinte und legte das Vorgehen dar.

Sogar vier Interpellationen (22.4298; 22.4305; 22.4323; 22.4477) aus verschiedenen Fraktionen betrafen den aktuellen Wohnungsmangel und insbesondere die Frage, was der Bundesrat dagegen zu tun gedenkt. Dieser verfolgt die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt aufmerksam, allerdings erinnert er daran, dass in der Schweiz die Immobilienwirtschaft die Versorgung mit Wohnraum verantwortet.

Der Nationalrat hat ein Postulat (22.3640) von Martin Candinas (Die Mitte/GR) angenommen mit dem Ziel, den Anteil des öffentlichen Verkehrs am Freizeitverkehr (40 % des gesamten Verkehrs) zu erhöhen. Der Bundesrat muss nun in einem Bericht mögliche Anreize darlegen, wie bei verkehrsintensiven Angeboten und Anlagen im Einkaufs-, Freizeit- und Tourismusbereich der ÖV-Anteil verbessert werden kann. Zudem müssen Kriterien entwickelt werden, damit verkehrsintensive Anlagen nur an Standorten erstellt werden, die mit Bahn und Bus attraktiv erschlossen werden können.

Der Nationalrat hat sich dafür ausgesprochen, die sogenannte Rollenden Landstrasse (22.064) weiterzuführen und genehmigte 106 Millionen Franken für die Jahre 2024 bis 2028. Eine Mehrheit befand, der Bahntransport für Lastwagen im alpenquerenden Güterverkehr sei notwendig, da das Verlagerungsziel auf die Schiene immer noch nicht erreicht ist (Stichwort Alpeninitiative).

Der Ständerat hat eine Motion (23.3010) der UREK-S angenommen, die vom Bundesrat verlangt, den multifunktionalen Grimseltunnel ins Ausbauprogramm Bahninfrastruktur und Perspektive 2050 aufzunehmen. Zudem sollen die erforderlichen Kredite bereitgestellt und das Projekt des Bahntunnels mit dem des Netzprojektes für die Übertragungsleitung (Grimsel-Höchstspannungsleitung) abgestimmt werden. Damit ist eine weitere Hürde zur Realisierung des Grimseltunnels überwunden.

Kein Gehör hatte der Ständerat für die Förderung der Baukultur im Rahmen der Kulturbotschaft 2025–2028. Er lehnte eine Motion (22.3892) der nationalrätlichen Raumplanungskommission (UREK-N) ab – im Gegensatz zum Nationalrat. Die UREK-N wollte die gesetzlichen Bedingungen schaffen, um die hohe Baukultur zu fördern – ein Anliegen der Biodiversitätsinitiative (siehe auch Kasten unten). Im Rahmen der Beratungen über deren indirekten Gegenvorschlag wurde die Baukultur deshalb eigens aus der Vorlage gestrichen. Nun ist die Motion gescheitert: Für den Ständerat ist die hohe Baukultur Sache der Kantone.

Das Parlament hat die Ausrichtung der Agrarpolitik (AP22+) fertig beraten. Der Nationalrat hat die entsprechenden Änderungen im Landwirtschaftsgesetz angenommen (u. a. 22.022) und sich dabei an den Beschlüssen des Ständerats orientiert. Anträge für ökologische Anliegen fanden praktisch kein Gehör, so ein Absenkpfad für Treibhausgase. Ab 2030 wünscht sich das Parlament eine tiefergehende Reform.

Indirekter Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative

Die Umweltkommission des Ständerats (UREK-S) lehnt den indirekten Gegenentwurf zur Biodiversitätsinitiative (22.025) ab, den der Nationalrat letzten Herbst beschlossen hat. Die Schweiz verfüge bereits über genügend Flächen, um das Übereinkommen von Kunming-Montreal einzuhalten – nämlich bis 2030 mindestens 30 Prozent Flächen für den Schutz und die Förderung der Biodiversität zu sichern. Die UREK-S beschloss überraschenderweise und äusserst knapp – mit 6 zu 5 Stimmen bei 1 Enthaltung –, nicht auf den indirekten Gegenvorschlag einzutreten. Das Geschäft kommt als nächstes in den Ständerat.

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Die Siedlung als Landschaft