Lockerung der Bundesinventare: Vorschläge der UREK-S gehen zu weit

Dienstag, 10.07.2018
Der Schutz von Natur- und Kulturdenkmälern, Ortsbildern und geschichtlichen Stätten von nationaler Bedeutung, wie er in drei Bundesinventaren umschrieben ist, soll gelockert werden. Dies sieht eine von ständerätlichen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie vorgeschlagene Revision des Natur- und Heimatschutzgesetzes vor. Die Vorlage war bis Anfang Juli in der Vernehmlassung. Der Raumplanungsverband EspaceSuisse erkennt im Umgang mit den Bundesinventaren durchaus Handlungsbedarf. Die vorgeschlagenen Lösungen gehen jedoch zu weit.
BLN-Objekt Säntisgebiet mit Seealpsee
Mit einer Änderung des NHG würden Bauten und Anlagen in BLN-Gebieten (hier das Säntisgebiet) erleichtert.

Das Natur- und Heimatschutzgesetz (NHG) verlangt vom Bund, dass er Landschafts- und Ortsbilder, geschichtliche Stätten sowie Natur- und Kulturdenkmäler von nationaler Bedeutung in einem Inventar auflistet und dafür sorgt, dass diese Schutzobjekte «die ungeschmälerte Erhaltung oder jedenfalls grösstmögliche Schonung» erfahren. Aus diesem Auftrag heraus sind das Bundesinventar der Landschaften und Kulturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN), das Inventar der schützenswerten Ortsbilder (ISOS) und das Inventar der historischen Verkehrswege (IVS) entstanden. Sie haben einen grossen Verdienst daran, dass es uns gelungen ist, die landschaftlichen Perlen und einzigartigen Kulturdenkmäler mehrheitlich zu erhalten und zu schonen.

Mit den zunehmenden Raumansprüchen für Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Tourismus ergeben sich jedoch Interessenkonflikte. Solche Konflikte entstehen heute insbesondere im Siedlungsgebiet, wo der Ortsbildschutz mit den Interessen an der Verdichtung kollidieren kann. Letztere wird vom revidierten Raumplanungsgesetz gefordert. Solche Konflikte und die Ablehnung gewisser Bauvorhaben haben zu politischen Vorstössen für eine Anpassung des Natur- und Heimatschutzgesetzes geführt; unter anderem zu einer Parlamentarischen Initiative des Zuger Ständerats Joachim Eder. Die ständerätliche Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK-S) hat Eders Vorschlag aufgenommen und in einen Vorschlag für eine Anpassung des Natur- und Heimatschutzgesetzes überführt.

Stand heute und geplante Änderungen beim Natur- und Heimatschutzgesetz

Heute braucht es für einen schweren Eingriff in ein Schutzobjekt von nationaler Bedeutung, wenn es um eine Bundesaufgabe geht, ein gleich- oder höherwertiges nationales Interesse an diesem Eingriff (Art. 6 NHG). Das heisst konkret beispielsweise: Heute darf in einer vom Bund geschützten Landschaft nur dann gebaut werden, wenn das Bauvorhaben von nationalem Interesse ist. Dazu gehören etwa Autobahnen oder Wasserkraftwerke. Zudem ist ein Fachgutachten der vom Bundesrat eingesetzten Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) oder der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege (EKD) erforderlich (Art. 7 NHG).

Um Bauvorhaben in Schutzobjekten von nationaler Bedeutung zu erleichtern, schlägt die ständerätliche UREK vor, den Interessen der Kantone in der Interessenabwägung mehr Gewicht zu verleihen. Neu sollen auch gleich- oder höherwertige Interessen der Kantone einen schweren Eingriff in ein Schutzobjekt ermöglichen können. Zudem soll künftig das Fachgutachten der ENHK oder EKD nur noch eine von mehreren Grundlagen für die Interessenabwägung bilden.

Die Haltung von EspaceSuisse

Für EspaceSuisse besteht im Umgang mit den Inventaren durchaus Handlungsbedarf. Die Lösungen der UREK-S gehen jedoch zu weit und sind nicht zielführend.

Heute ist das nationale Interesse oft gar kein Hindernis für die Vorhaben. Dies hat zwei Hauptgründe:

  • Das Bundesgericht hat den Kreis der nationalen Interessen immer weiter ausdehnt. So hat es im vergangenen Jahr die «Verdichtung» und die «Förderung des öffentlichen Verkehrs» als nationale Interessen bezeichnet.
  • Bei vielen Bauvorhaben muss das nationale Interesse nicht nachgewiesen werden, weil sie entweder nur geringfügige Auswirkungen auf das Schutzobjekt haben, oder weil es bei den Vorhaben um die Erfüllung kantonaler oder kommunaler Aufgaben und nicht um Bundesaufgaben geht. In diesen Fällen genügt eine einfache Interessenabwägung, wie sie die Raumplanungsverordnung vorsieht (Art. 3 RPV).

Würde man künftig auch kantonale Interessen für einen Eingriff in ein Schutzobjekt zulassen, würde bloss die Rechtsunsicherheit grösser, denn die Gerichte müssten anhand zahlreicher Rechtsstreitigkeiten klären, was «gleich- oder höherwertige kantonale Interessen» sind.

Die Gutachten der Fachkommissionen sind schon heute für die Entscheidfindung nicht allein ausschlaggebend. Die Frage, ob die Schutzabsicht oder das Interesse am Eingriff überwiegt, beantwortet die Entscheidbehörde, also der Bund, der Kanton oder die Gemeinde bzw. die Gerichte, nicht  die Fachkommission. Gegen eine Präzisierung dieser Regelung ist an sich nichts einzuwenden. Mit der vorgeschlagenen Formulierung der ständerätlichen UREK wird das Kind jedoch mit dem Bade ausgeschüttet und das Fachgutachten zu einer Stellungnahme unter vielen abgewertet.

Handlungsbedarf bei Bundesinventaren besteht – aber anderswo

Handlungsbedarf gibt es für EspaceSuisse bei den drei Inventaren in anderen Bereichen:

  • Die Schutzziele in den einzelnen Inventaren sind klarer und präziser zu beschreiben.
  • Es braucht mehr Transparenz darüber, wie der Bund die Objekte inventarisiert.
  • Die rechtliche Tragweite der Bundesinventare muss den Behörden und Bauwilligen besser erklärt und mit Beispielen gezeigt werden, wie sie Inventare umsetzen sollen.
  • Die Fachkommissionen ENHK und EKD und ihre Sekretariate sind personell aufzustocken.

EspaceSuisse hat Anfang 2018 eine Arbeitshilfe zum Thema «Ortsbildschutz und Verdichtung» mit Beispielen und Empfehlungen herausgegeben. Auch für die Umsetzung der beiden anderen Inventare (BLN, IVS) wären solche Arbeitshilfen wertvoll. Die Fachkommissionen ENHK und EKD müssen aber auch personell aufgestockt werden. Mit den gewachsenen Raumansprüchen haben die Anforderungen an sie zugenommen, ohne dass damit ein personeller Ausbau einhergegangen wäre. Die Qualität der Gutachten ist dadurch gefährdet.

Den Katalog der Bundesaufgaben diskutieren

Soll dennoch am Gesetz etwas geändert werden, müsste man sich nicht über den Stellenwert des Eingriffsinteresses (nationale und kantonale Bedeutung) unterhalten, sondern über den Kreis der Bundesaufgaben und deren rechtliche Folgen für Eingriffe in inventarisierte Objekte. Die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung im Natur- und Heimatschutz (eine Aufgabe der Kantone) wird durch die Verknüpfung mit der Erfüllung einer Bundesaufgabe stark strapaziert.

Es geht EspaceSuisse nicht darum, den Katalog der Bundesaufgaben zusammenzustreichen. Es muss jedoch eine Diskussion darüber geführt werden, ob das NHG angepasst werden soll, so dass eine Bundesaufgabe nur dann einen erhöhten Schutz und ein qualifiziertes Verfahren (nationale Interesse, Fachgutachten) auslöst, wenn es zwischen der Bundesaufgabe und dem Bauvorhaben einen engen sachlichen und sichtbaren Zusammenhang gibt.

Stellungnahme von EspaceSuisse zur Parlamentarischen Initiative Eder 12.402

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