Baukulturelle Qualität beurteilen – aber wie?

Brigitte Müller, Bundesamt für Kultur (BAK), Sektion Baukultur
Freitag, 28.05.2021
Die Qualität von Baukultur wird oft als Frage des Geschmacks erachtet. Das Davos Qualitätssystem für Baukultur zeigt, dass und wie baukulturelle Qualität objektiv beurteilt werden kann. Kulturelle und emotionale Werte spielen dabei ebenso eine Rolle wie technische Aspekte.
Quelle: BAK

Raum ist ein relationales und dynamisches Konzept. Menschen entwickeln Raum, dessen Gestalt wiederum das Leben von Menschen prägt. Die Qualität der gebauten und nicht-gebauten Umwelt ist deshalb von entscheidender Bedeutung.

Der Davos Prozess

Das Davos Qualitätssystem für Baukultur wurde von einem international zusammengesetzten Redaktionskomitee unter der Leitung des Bundesamts für Kultur erarbeitet und erlaubt, die baukulturelle Qualität zu beurteilen. Es ist Teil des Davos Prozess, der im Januar 2018 mit der Verabschiedung der Erklärung von Davos «Eine hohe Baukultur für Europa» durch die europäischen Kulturministerinnen und Kulturminister begann. Die Erklärung von Davos betont die zentrale Rolle der Kultur für die Qualität der gebauten Umwelt. Baukultur umfasst alle raumwirksamen Tätigkeiten, vom handwerklichen Detail bis hin zur grossmassstäblichen Stadtplanung und Landschaftsentwicklung.

Das Davos Qualitätssystem für Baukultur vertieft, was hohe baukulturelle Qualität ist, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Massnahmen sie erreicht und wie sie beurteilt werden kann. Das Davos Qualitätssystem für Baukultur bildet zudem einen wichtigen Beitrag zur laufenden Initiative der Europäischen Union über «High-quality Architecture and Built Environment for Everyone», deren Abschlussbericht im September 2021 erwartet wird, und zum Prozess des «Neuen Europäischen Bauhauses». Die drei Initiativen sind miteinander verknüpft.

Acht Qualitätskriterien

Das Davos Qualitätssystem für Baukultur schlägt acht Qualitätskriterien vor. Sie machen Aussagen zu einer hohen Baukultur von Orten, die bestehen oder erst geplant sind und verschiedenste Massstäbe und Typologien aufweisen können: Es sind dies Gouvernanz, Funktionalität, Umwelt, Wirtschaft, Diversität, Kontext, Genius loci (engl. sense of place) und Schönheit.

Davos Baukultur Kriteriengrafik d
Quelle: BAK
  • Ein Ort wird bestimmt durch eine Gouvernanz, die auf partizipativer Demokratie, guten Prozessen und einem guten Umgang mit Orten basiert.
  • Funktionalität bezieht sich auf den Grad der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse und die Erfüllung des Zwecks eines Orts.
  • Die Rücksicht auf die natürliche Umwelt und die Eindämmung des Klimawandels tragen zur Nachhaltigkeit eines Orts bei.
  • Eine Wirtschaft mit langen Lebenszyklen und mit langfristiger Rentabilität des Orts ist ein wichtiger Bestandteil von hoher Baukultur.
  • Vielfalt sorgt für Dynamik und soziale Integration.
  • Der besondere Kontext eines Orts mit seinen Raum- und Zeitschichten wie Form und Gestalt von Gebäuden, Quartieren, Dörfern und Landschaften sowie die Rücksicht auf das baukulturelle Erbe haben einen grossen Einfluss auf die Qualität eines Orts.
  • Ein spezifischer Genius loci (engl. sense of place) entsteht durch das soziale Gefüge, die Geschichte, Erinnerungen, Farben und Gerüche eines Ortes, die seine Identität und die Verbundenheit der Menschen mit ihm bestimmen.
  • Schliesslich ist ein Ort von hoher Qualität authentisch und entspricht dem menschlichen Bedürfnis nach Schönheit.

Die einfachen Kriterienbegriffe (wie Gouvernanz oder Wirtschaft), abgeleitet aus der Erklärung von Davos, werden im Davos Qualitätssystem für Baukultur in ihrer Beziehung zu baukultureller Qualität definiert. Prinzipien, welche die Qualitätskriterien begleiten, erläutern knapp, was hohe Baukultur ausmacht und was dazu führt. Hohe Baukultur erzielt ein Ort nur dann, wenn alle acht Kriterien berücksichtigt und Aussagen zur Qualität für alle Kriterien gemacht werden. Dem Qualitätssystem ist deshalb ein Formular beigefügt, das relevante Fragen zu den acht Kriterien enthält. Die Qualitätsbeurteilung kann von den Anwenderinnen und Anwendern des Davos Qualitätssystems durch eigene Fragen, aber auch Indikatoren ergänzt und dadurch zusätzlich objektiviert werden. Die Antworten auf die Fragen zeigen auf, ob die Qualitätsanforderungen in Bezug auf baukulturelle Qualität erreicht und wo Defizite vorhanden sind.

Erstmals werden den üblicheren technischen, ökologischen und wirtschaftlichen Kriterien soziale, kulturelle und emotionale Kriterien gleichwertig gegenübergestellt. Der umfassende Ansatz des Davos Qualitätssystem für Baukultur enthält jedoch weder normative Festlegungen für baukulturelle Qualität noch stellt er ein weiteres Zertifizierungssystem oder Nachhaltigkeits-Label dar.

Baukulturelle Qualität als gemeinsames Ziel – im Dialog

Das Davos Qualitätssystem ist namentlich ein Angebot für Fachpersonen. Anhand des Formulars mit Fragen sind Planende, Bauende, Verwaltung und Investoren – aber auch interessierte Laien – in der Lage, die baukulturelle Qualität von Planungen, Projekten und Bestand zu beurteilen.

Hohe Baukultur verbindet Menschen. Ein intensiver Dialog zwischen allen Beteiligten und eine fachliche, aber auch gesamtgesellschaftliche Debatte über eine hohe Baukultur ist wichtig, um unter Fachpersonen und Laien ein reflektiertes und fundiertes Verständnis darüber zu erreichen, was hohe Baukultur auszeichnet.

Nützliche Links

Acht Kriterien für eine hohe Baukultur: Die Kurzbroschüre gedruckt ist in DE/FR/IT/EN erhältlich, solange im Vorrat, Shop für Bundespublikationen, Artikel Nummer: 306.003.

Der vollständige Text in FR/EN sowie die Kurzbroschüre und das Bewertungsformular DE/FR/IT/EN sind als PDF hier erhältlich.

Neues Europäisches Bauhaus: Neues Europäisches Bauhaus: attraktiv, nachhaltig, gemeinsam. (europa.eu)

Baukultur im Inforaum 3/2020: Boris Schibler, NIKE

Baukultur im Inforaum 3/2020: Damian Jerjen, EspaceSuisse

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