Materielle Enteignung

Wenn ein Grundstück durch eine Planungsmassnahme stark an Wert verliert, weil es von der Bauzone in die Landwirtschaftszone zurückgezont wird oder seine Ausnützung reduziert wird (Abzonung), spricht man von einer «materiellen Enteignung». Solche Enteignungen muss die Gemeinde dem Eigentümer entschädigen – jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Wird in einer Gemeinde, die über zu grosse Bauzonen verfügt, Land in die Landwirtschaftszone zurückgezont, hat dies für die betroffenen Grundeigentümer häufig einen erheblichen Wertverlust des Grundstücks zur Folge. Das Gleiche kann zutreffen, wenn ein Grundstück durch eine Planungsmassnahme zwar in der Bauzone verbleibt, die Ausnützung aber reduziert wird (Abzonung). Handelt es sich dabei um einen schweren Eigentumseingriff, d.h. verliert das Eigentum erheblich an Wert, spricht man von einer «materiellen Enteignung». Im Unterschied zur formellen Enteignung bleibt das Grundstück bei einer materiellen Enteignung weiterhin im Besitz des Grundeigentümers; es verliert jedoch an Wert.

Die Bundesverfassung verlangt, dass Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen, voll entschädigt werden (Art. 26 Abs. 2 BV). Das Raumplanungsgesetz hat diese Bestimmung in Art. 5 Abs. 2 übernommen. Rückzonungen und Abzonungen sind somit zu entschädigen, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Zur materiellen Enteignung hat das Bundesgericht im Laufe der Zeit eine reichhaltige Rechtsprechung entwickelt. Danach liegt eine materielle Enteignung vor, «wenn dem Eigentümer der bisherige oder ein voraussehbarer künftiger Gebrauch einer Sache untersagt oder in einer Weise eingeschränkt wird, die besonders schwer wiegt, weil ihm eine wesentliche aus dem Eigentum fliessende Befugnis entzogen wird».

Voraussetzungen für eine Entschädigungspflicht bei materieller Enteignung sind somit:

  • ein schwerer Eingriff in das Grundeigentum und
  • eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Grundstück im Zeitpunkt der Planänderung hätte überbaut werden können.

Schwerer Eingriff und Baureife

Geringfügige Eingriffe ins Grundeigentum und damit verbundene Wertverluste infolge von Planungsentscheiden sind gemäss Bundesgericht entschädigungslos hinzunehmen. Das Gericht hat es bisher vermieden, einen Schwellenwert zu nennen, ab welchem Eingriffe als schwer gelten. Verlangt wird eine Gesamtbetrachtung der Verhältnisse im Einzelfall. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Frage, ob dem Eigentümer nach dem Inkrafttreten der Planungsmassnahme eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung des Grundstücks verbleibt.

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob das Grundstück im Zeitpunkt der Planänderung mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte überbaut werden können. Man spricht dabei auch von der «enteignungsrechtlichen Baureife» eines Grundstücks. Von einer Überbauung des Grundstücks in naher Zukunft geht das Bundesgericht aus, wenn dem Vorhaben im Zeitpunkt der Planänderung keine grösseren tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse im Weg gestanden wären. Braucht es für ein Vorhaben bedeutsame Ausnahmen (beispielsweise eine Ausnahme für die Unterschreitung des Strassen- oder Waldabstands) oder besteht eine Pflicht, für ein Vorhaben einen Sondernutzungsplan zu erlassen, kann dies eine rasche Überbauung eines Grundstücks verhindern. Die fehlende Erschliessung allein ist heute kein Grund mehr, um die Entschädigungspflicht zu verneinen, denn die Gemeinde ist gemäss RPG verpflichtet, Bauzonen zu erschliessen. Hat sie dies unterlassen, kann das Versäumnis nicht dem Grundeigentümer angelastet werden. Für die Beurteilung der Baureife nimmt das Bundesgericht eine gesamtheitliche Beurteilung im Einzelfall vor.

Auszonung oder Nichteinzonung?

Um die Entschädigungspflicht zu beurteilen, ist schliesslich noch eine weitere Abklärung vorzunehmen. Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen einer «Auszonung», die in der Regel zu einer Entschädigung führt, und einer «Nichteinzonung», die selten entschädigt wird.

Unter Auszonung versteht man die Umzonung eines bisher in einer RPG-konformen Bauzone gelegenen Grundstücks in eine Nichtbauzone. Es handelt sich somit in der Regel um Nutzungspläne, die nach dem Inkrafttreten des RPG (also nach dem 1. Januar 1980) erlassen wurden.

Eine Nichteinzonung liegt hingegen vor, wenn ein Grundstück einer Nichtbauzone zugewiesen wird, um den Anforderungen des RPG zu entsprechen. Das heisst auch: Das Grundstück war zuvor nicht rechtskonform eingezont. Von Nichteinzonungen spricht man nicht nur bei Nutzungsplänen, die vor dem Inkrafttreten des RPG im Jahr 1980 erlassen wurden, sondern gemäss neuerer Rechtsprechung auch für die Anpassung von Nutzungsplänen, die unter dem RPG erlassen wurden, aber die Vorschriften des RPG materiell nicht einhalten. Dies ist dann der Fall, wenn ein Nutzungsplan das Baugebiet vom Nichtbaugebiet nur ungenügend trennt oder klar überdimensionierte Bauzonen aufweist.

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