Qualitätsvolle Innenentwicklung trotz Lärm

Christa Perregaux, stellvertretende Direktorin EspaceSuisse
Donnerstag, 16.03.2023
Die Begrenzung des Lärms an der Quelle ist das wirksamste Mittel, um die Bevölkerung vor Lärm zu schützen und gleichzeitig eine qualitätsvolle Siedlungsentwicklung nach innen zu realisieren. Die jüngste Revision des Umweltschutzgesetzes (USG) geht in diesem Punkt aber zu wenig weit.
Breitenrainquartier in Bern: Temporeduktion und Flüsterbelag sorgen für weniger Lärm. Foto: Kaspar Allenbach, EspaceSuisse

Die Revision des USG soll die bauliche Verdichtung in lärmbelasteten Gebieten erleichtern. Dies schreibt der Bundesrat in seiner Botschaft vom 16.12.2022. Zwei Bestimmungen des Gesetzes (Art. 22 und 24 USG) sind entsprechend angepasst worden (siehe Kasten unten). Mit der grosszügigen Legalisierung der «Lüftungsfensterpraxis» sollen Grossüberbauungen gegenüber dem Lärmschutz Vorrang haben.

Ein anderer Umgang mit dem Lärm

Weshalb aber ist die lärmschutzbedingte Blockierung von grossen Bauprojekten vor allem in Zürich problematisch und weniger in Genf? Es könnte unter anderem daran liegen, dass Genf und auch andere Kantone – vor allem in der Westschweiz – schon seit mehreren Jahren versuchen, den Lärm an der Quelle zu begrenzen: unter anderem durch nächtliche Geschwindigkeitsreduktionen auf verschiedenen Streckenabschnitten oder flächendeckend in der ganzen Stadt, aber auch durch lärmarme Beläge. Dieses Vorgehen reduziert Lärm so wirksam, dass Bauvorhaben in bereits stark lärmbelasteten städtischen Gebieten gelassener angegangen werden können.

Besonders dank der Massnahmen an der Quelle konnten laut dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) in den Kantonen Genf und Freiburg bereits 30'000 beziehungsweise 25'000 Personen vor Lärm geschützt werden, in Zürich hingegen lediglich 6000.

Reduktion der Geschwindigkeit

Laut BAFU kann Tempo 30 die Lärmemissionen im Vergleich zu Tempo 50 um etwa drei Dezibel verringern. Für die empfundene Lärmbelastung ist eine solche Temporeduktion entscheidend: Drei Dezibel weniger haben akustisch dieselbe Wirkung wie eine Halbierung des Verkehrs. Diese Massnahme ist wirkungsvoll, kostengünstig und einfach umzusetzen. 2005 hat die Gemeinde Köniz Tempo 30 auf einer verkehrsreichen Kantonsstrasse (18'000 Fahrzeuge täglich) erfolgreich eingeführt. In der Stadt Lausanne gilt auf fast dem gesamten Strassennetz in der Nacht generell Tempo 30.

Lärmarme oder leise Beläge

Abrollgeräusche verursachen gemäss Studien des BAFU bei konstanter Fahrweise bereits ab 20 km/h mehr Lärm als die Motorengeräusche der Autos. Leise Strassenbeläge können den Lärm markant reduzieren. Innerorts kann die neue Generation lärmarmer Beläge den Lärm im Neuzustand um etwa 8 Dezibel, am Ende der Nutzungsdauer um rund 3 Dezibel mindern. Lärmarme Beläge sind zwar teuer, aber angesichts der wirtschaftlichen Vorteile (Standortattraktivität, Möglichkeiten zur baulichen Nutzung) und der Einsparungen bei den Gesundheitskosten gerechtfertigt. In Frasses in der Gemeinde Les Montets FR wurde ein Praxistest durchgeführt, der die Wirksamkeit einer Temporeduktion auch auf lärmarmem Belag bestätigt.

Die Stadt der 15 Minuten oder der kurzen Wege planen

Eine Reduktion der motorisierten Mobilität mindert den Lärm. Das Prinzip der 15-Minuten-Stadt trägt insofern dazu bei, dass die Einwohnerinnen und Einwohner ihre Grundbedürfnisse (Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Gesundheitsversorgung, Ausbildung, Erholung) zu Fuss decken können. Dazu werden multifunktionale und damit resilientere Quartiere und Agglomerationen geschaffen. In diese Richtung geht auch die grenzüberschreitende räumliche Vision 2050 für den Grossraum Genf (Vision territoriale transfrontalière 2050).

Es geht um mehr als Lärm

Der motorisierte Individualverkehr und der damit einhergehende Lärm berühren auch die Frage unserer Energieabhängigkeit sowie der Siedlungsqualität. Die radikale Reduktion des motorisierten Individualverkehrs wird die Lärmemissionen und unsere Energieabhängigkeit verringern. Gleichzeitig werden unsere Gesundheit und die Siedlungsqualität verbessert. Dass Massnahmen zur Lärmminderung an der Quelle ergriffen werden, erscheint vor dem Hintergrund der Energiewende und der geforderten Siedlungsentwicklung nach innen schlicht selbstverständlich. So lassen sich bauliche Massnahmen vermeiden, wie sie in der Revision des USG vorgeschlagen werden und welche die Siedlungsqualität nicht zwingend berücksichtigen. Es braucht allerdings politischen Mut und Willen, um den richtigen Beispielen zu folgen und in diesem Sinne zu handeln.

Revision des USG betreffend Lärmschutz in Kürze

Planung an stark belasteten Lagen (Art. 24 USG)

Ausnahmen von der strikten Einhaltung der Belastungsgrenzwerte sind möglich, wenn ein überwiegendes Interesse zur Siedlungsentwicklung nach innen besteht und die betroffene Bevölkerung einen Freiraum fussläufig erreichen kann (Parks, Grünräume, Wälder, Landwirtschaftsgebiete und Gewässer). Dieser soll der Erholung vom Lärm dienen. Weiter sind Massnahmen vorzusehen, welche die Wohnqualität in akustischer Hinsicht verbessern (Lärmreduktion an der Quelle).

Baubewilligungen in lärmbelasteten Gebieten (Art. 22 USG)

Werden die Lärmbelastungsgrenzwerte überschritten, sollen laut revidiertem Gesetz die Räume so angeordnet werden, dass bei jeder Wohneinheit mindestens die Hälfte der lärmempfindlichen Räume über ein Fenster verfügt, bei dem die Immissionsgrenzwerte eingehalten sind (erweiterte Lüftungsfensterpraxis).

Ausserdem muss der bauliche Mindestschutz gegen Aussen- und Innenlärm angemessen verschärft werden (Schallschutz an der Gebäudehülle).

Weiterlesen?

Den vollständigen Artikel mit guten Beispielen finden Sie im Inforaum 1/2023, das Ende März erscheint und an die Mitglieder von EspaceSuisse verschickt wird. Online finden Sie das Magazin ab 28. März 2023 hier.

Weiterbilden?

Der Kurs Einführung in den Lärmschutz von EspaceSuisse bietet alltagstauglihe Antworten auf verschiedene Fragen und Herausforderungen beim Lärmschutz. Der nächste Kurs findet am 7. Juni 2023 in Bern statt. Mehr Informationen erhalten Sie hier.

Raumplanungsverordnung

Stellungnahme von EspaceSuisse