Sechs Gründe, warum wir das Raumkonzept aktualisieren wollen

Maria Lezzi, Direktorin Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), und Ulrich Seewer, Vizedirektor ARE
Mittwoch, 03.05.2023
Der Bund, die Kantone, Gemeinden und Städte wollen ihr Raumkonzept aus dem Jahr 2012 aktualisieren. Die Arbeiten laufen in diesem Jahr an. Doch ergibt es überhaupt Sinn, sich in dieser schnelllebigen Zeit langfristige Überlegungen zu machen? Ja, finden ARE-Direktorin Maria Lezzi und Vizedirektor Ulrich Seewer.

Das Parlament diskutiert derzeit im Rahmen der Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG 2) über das Bauen ausserhalb der Bauzone. Solarexpress und Mantelerlass legen neue raumplanerische Bedingungen für die Enerigeproduktion fest. Und die Beschleunigungsvorlage vereinfacht die Planung von Energieanlagen. Kaum ein Stein bleibt auf dem anderen. Ist es da sinnvoll, Zeit und Hirnschmalz in die Aktualisierung einer langfristigen Strategie zu investieren?

Wir meinen klar: Ja. Sechs Gründe sprechen dafür.

1. Das Raumkonzept ist wichtig. Es ist zur Basis für viele Planungen auf allen staatlichen Ebenen geworden. Beispielsweise legt der Bund zusammen mit den Kantonen, Städten und Gemeinden die Zukunft der Mobilität im Rahmen der Handlungsräume gemäss dem Raumkonzept fest. Solche Arbeiten sind nur möglich, wenn dieser Planungs- und Orientierungsrahmen aktuell ist.

2. Über genügend erneuerbare Energien zu verfügen ist zentral, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Dieser Aspekt kommt im aktuellen Raumkonzept zu kurz. Hier können neue Rahmenbedingungen dazu beitragen, die politischen Entscheide einzuordnen und räumlich zu differenzieren. Zum Beispiel stellt sich die Frage, wie der Raum organisiert werden muss, um die Energie möglichst dort zu produzieren, wo sie gebraucht wird.

3. Der Klimawandel betrifft alle Räume der Schweiz. Heisse Sommer, Trockenheit, schneearme Winter und verheerende Überschwemmungen sind zur Normalität geworden. Was heisst das für die Regionen in der Schweiz? Wie gehen sie mit den veränderten Bedingungen um, und welche Handlungsoptionen sind erfolgversprechend? Auch hierzu fehlen im aktuellen Raumkonzept Antworten.

4. Digitalisierung ist global. Sie ermöglicht, Prozesse schlanker und einfacher zu gestalten. Ob der Schreibtisch im Calancatal oder an der Zürcher Bahnhofstrasse steht, spielt keine Rolle mehr. Hingegen interessiert uns, wie wir noch stärker regional und in Ressourcen-Kreisläufen denken können. Beispiele dazu gibt es im Tourismus, in der Industrie oder in der Bauwirtschaft. Welche Infrastrukturen und räumlichen Voraussetzungen brauchen wir, um solche Entwicklungen zu nutzen und in sinnvolle Bahnen zu lenken?

5. Grosse planerische Würfe auf weissem Papier gehören der Vergangenheit an. Auf jedem Quadratmeter Boden sowie darunter und darüber konkurrenzieren sich unterschiedliche Interessen. Zum Beispiel produziert eine neue Windenergieanlage den dringend benötigten Strom, stört aber eine seltene Vogelart und beeinträchtigt eine für die Ernährungssicherheit wichtige Fruchtfolgefläche. Ein aktualisiertes Raumkonzept kann dazu beitragen, die unterschiedlichen Interessen räumlich differenziert abzuwägen, damit eine Entwicklung in allen Regionen der Schweiz noch möglich ist.

6. Auch wenn die Beziehungen zum offiziellen Europa aus verschiedenen Gründen schwierig sind, ist die Schweiz keine Insel. Gerade im «kleinen Grenzverkehr» bestehen viele Formen von Zusammenarbeit und Abhängigkeiten. Während sich in den grenznahen Agglomerationen auch dank des Programms Agglomerationsverkehr tragfähige Strukturen entwickelt haben, ist in den ländlich geprägten Räumen vieles unklar und auch etwas zufällig organisiert. Welche Herausforderungen stellen sich zum Beispiel aufgrund des Grenzgängerverkehrs im Jura? Oder welche Chancen entstehen durch eine engere Zusammenarbeit entlang des Alpenrheins? Es könnte hilfreich sein, gemeinsame Vorstellungen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zu entwickeln, zum Beispiel bei der Fahrplangestaltung und der Tarifierung des öffentlichen Verkehrs.

Die Aktualisierung des Raumkonzepts Schweiz ist erst angelaufen. In diesem Jahr stehen intensive Diskussionen im Rahmen verschiedener Workshops und Veranstaltungen an. Wir sind sehr offen für zusätzliche Ideen und sind überzeugt, dass eine gute, von allen Staatsebenen getragene strategische Grundlage als Kompass dient, um den Kurs auch in stürmischen Zeiten zu halten.

Raumkonzept Schweiz

Mehr Informationen zur Aktualisierung des Raumkonzepts Schweiz auf raumkonzept-schweiz.ch. Dort finden Sie auch den Artikel von EspaceSuisse-Direktor Damian Jerjen, der sich Gedanken über die Klimatauglichkeit der Schweiz und des Raumkonzepts Schweiz macht.

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