Unter welchen Umständen kann auf die Erstellung von privaten Parkplätzen verzichtet werden?

Unsere Gemeinde hat ein Baubewilligungsgesuch für ein Mehrfamilienhaus mit drei Wohnungen erhalten. Wenn man die VSS-Normen buchstabengetreu anwendet, müssten sechs Parkplätze erstellt werden. Das Projekt liegt aber im Zentrum, das mit öffentlichen Verkehrsmitteln (ÖV) und für den Langsamverkehr sehr gut erschlossen ist. Ist die Gemeinde befugt, die geforderte Zahl der Parkplätze nach unten zu korrigieren?

In der Rubrik «Sie fragen – wir antworten» beantworten Juristinnen und Juristen von EspaceSuisse Fragen aus der Schweizer Rechtspraxis in der Raumplanung. Die Antwort auf obige Frage lautet:

Obwohl die Zahl der autofreien Haushalte in den Städten seit Jahren steigt, verlangen die meisten kantonalen Gesetze nach wie vor mindestens einen Parkplatz für jede neu erstellte Wohnung. Da Parkplätze nicht im Bundesrecht geregelt sind, gibt es beinahe so viele Vorschriften wie Kantone.

In den meisten Kantonen verfügen jedoch die Gemeindebehörden über einen gewissen Handlungsspielraum. Basis dafür sind die kantonalen Gesetze. Oft sehen diese gar explizit die Möglichkeit vor, den Bau von Parkplätzen einzuschränken, sofern eine gute ÖV-Erschliessung vorhanden ist oder andere öffentliche Interessen überwiegen. Ein solches höheres öffentliches Interesse wäre etwa, die Verkehrsbelastung auf dem Strassennetz zu reduzieren, Siedlungen, Natur und Kulturerbe zu schützen, eine hochwertige Siedlungsentwicklung nach innen zu ermöglichen oder auch autoarme Quartiere zu schaffen. Für die genauen Bestimmungen muss man sich also auf den Wortlaut der jeweiligen kantonalen Gesetze stützen. Die Plattform autoarm/autofrei Wohnen des VCS bietet eine Übersicht über die rechtliche Situation in den einzelnen Kantonen, die mit Unterstützung von EspaceSuisse jährlich aktualisiert wird.

Die Gemeinden müssen aber den Spielraum, den ihnen das kantonale Gesetz allenfalls zugesteht, auch tatsächlich nutzen. Sie können entsprechende Vorschriften erlassen – zum Beispiel in ihrem Gemeindereglement, in einem separaten Parkplatz-Reglement (wie in den Städten Genf, Zürich oder Luzern) oder in einem Parkplatz-Richtplan (Villars-sur-Glâne). Eine entsprechende Parkplatzpolitik hat beispielsweise die Stadt Freiburg verabschiedet.

Ein allfälliger Verweis auf die Normen des Schweizerischen Verbands der Strassen- und Verkehrsfachleute (VSS-Normen) im kantonalen Gesetz verpflichtet die Gemeinden nicht in jedem Fall, sich daran zu halten. Das Bundesgericht hat bereits mehrfach festgehalten, dass diese Normen keine Rechtsnormen und die Behörden grundsätzlich nicht daran gebunden sind (vgl. Urteil BGer 1C_90/2011 vom 20. Juli 2011, E. 4.2 in JdT 2011 I 297; BGer 1C_430/2015 vom 15. April 2016). Sie dienen Praktikerinnen und Praktikern sowie Behörden vielmehr als Orientierungshilfe.

Die Gemeinden können die örtlichen Gegebenheiten am besten beurteilen. Man kann sie nur dazu ermutigen, die Möglichkeiten auszuloten, die ihnen das kantonale Recht bietet.

Quelle: Inforaum 4/2019

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